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Seit den 1960er Jahren kursieren Behauptungen, eine neue Epoche habe begonnen, die durch Computerisierung, Digitalisierung und Vernetzung bestimmt sein werde. Sie dienten dazu, die Aussichten auf einen Systemgewinn des sogenannten »Westens« während des Kalten Krieges bereits geschichtsphilosophisch vorwegzunehmen. Weit über den Kalten Krieg hinaus und bis hin zur gegenwärtigen »Digitalisierung« haben Sie sie Erzählungen der Dringlichkeit erzeugt, aus denen die immer gleichen Zumutungen, Forderungen und Maß­nahmen abgeleitet werden. Und mehr noch: Begriffe wie »Digitalisierung« sind seitdem unverbrüchlich mit einer paradoxen Zukunftssemantik verbunden. Denn einerseits beschwören sie eine offene Zukunft und imaginieren deren radikale Differenz durch technologische Innovation – andererseits aber versichern sie, daß eine unausweichliche Zukunft bereits begonnen habe und nach sofortigem Handeln verlange, um dramatische Konsequenzen zu vermeiden. Damit gerät das Epochennarrativ der späten 1960er zu einer selbsterfüllenden Prophe­zei­ung. Es zu erinnern ist eine Möglichkeit, einer präsentistischen Rede von »Digitalisierung« ihre Geschichte zurückzugeben.

Claus Pias ist Professor für Mediengeschichte und Medientheorie an der Leuphana Universität Lüneburg und dort Direktor des Kollegs »Medienkulturen der Computersimulation« (MECS) und des Centre for Digital Cultures (CDC) sowie Senior Researcher des Digital Cultures Research Lab (DCRL). Zuletzt erschienen: The Oxford Handbook on Media, Technology, and Organization, ed. by Timon Beyes, Robin Holt & Claus Pias, Oxford 2019.

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