Das Stockholm-Syndrom beschreibt ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer eine emotionale Bindung zu Tätern aufbauen, sich mit diesen identifizieren und sogar durch eigenes Handeln stabilisierend auf das Opfer-Täter-Verhältnis einwirken. Die Gruppenausstellung „Stockholm Syndrome“ überträgt dieses Kippmoment von Kritik oder distanzierter Teilhabe zu Affirmation auf die Strukturprinzipien postfordistischer Gesellschaften. Zwänge der Lohnarbeit werden dort zunehmend von Forderungen nach intrinsischer Motivation und Selbstverwirklichung verdeckt und so die Grenzen zwischen Privatheit und Arbeit, kollektiver und individueller Identität, Emotion und Arbeitsökonomie verwischt. Die Ausstellung widmet sich den Regeln von auf Verführung und Manipulation basierenden Mechanismen und wie diese sich in Formen von Arbeit, Gemeinschaft und Architektur in unseren Alltag einschreiben.

Die in der Ausstellung vertretenen Videoarbeiten von Hfg-Absolventinnen Lisa Bergmann und Alina Schmuch sowie titre provisoire und Anna Witt nehmen die Einübung gesellschaftlicher Rollen an der Schnittstelle von Individuum und Kollektiv zum Ausgangspunkt und befragen Mechanismen der Identifikation, Zuschreibung und Suggestion auf Aspekte des Performativen, Räumlichen und Sozialen. Welche Formen der Verführung, welche psychologischen und gruppendynamischen Prozesse, aber auch welche Arten der Aktivierung und Teilhabe stehen im Zentrum immer schon per se politischer Gemeinschaft? Mit welchen ästhetischen und sozialen Setzungen durchdringen sie die verschiedenen Bereiche unseres täglichen Lebens?

Die von HfG-Student Carlo Siegfried entwickelte Ausstellungsarchitektur begreift den Ausstellungsraum als Bühne. Angelehnt an aktuelle Büroraumarchitektur bindet sie die Handlungen und Bewegungen der BetrachterInnen als Teil einer kollektiv erzeugten, die Filmräume erweiternde Situation ein. An zwei Samstagsveranstaltungen der Reihe Track Academy wird die Bühne mit Workshops, Vorträgen und Performances aktiviert.

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